Exkursion nach Buchenwald

Eine Tradition lebt nach zwei Jahren Corona-Abstinenz wieder auf ...

Es ist Dienstag vor Himmelfahrt, zu Beginn der zweiten Stunde, als wir in einem Zwei-Etagen-Bus nach Buchenwald aufbrechen. Nach zwei Stunden Fahrt gen Westen soll unser Ziel das Konzentrationslager bei Weimar sein. Unser erster Halt ist jedoch noch einen Kilometer vom KZ entfernt: das wuchtige Mahnmal auf dem Südhang des Ettersbergs. In der DDR erbaut soll es den aufständischen Lagerinsassen des Konzentrationslagers Buchenwald gedenken. Um 1943 hatten politische Gefangene verschiedener Nationen im Verborgenen das „Internationale Lagerkomitee Buchenwald“ als Widerstandsgruppe gebildet. In einer eher plumpen Parkanlage ragt der sogenannte Glockenturm über drei ringförmigen Massengräbern und spielt zu jeder vollen Stunde seinen blechernen Gong. Vor ihm wenden sich elf Bronzefiguren den Rapsfeldern auf dem gegenüberliegenden Hang zu. Getreu der DDR-Ideologie sollen sie den Widerstand der kommunistischen Aufständischen im Konzentrationslager gegenüber den kapitalistischen Nationalsozialisten darstellen.


Das Konzentrationslager liegt keine zehn Kilometer von der Kulturstadt Weimar entfernt, auf der abgewandten Hangseite des Ettersbergs. An einem Kiosk am ehemaligen Exerzierplatz verweilen wir frierend zwei Stunden, ehe unsere Filmvorführung beginnt. Darin berichten uns drei Zeitzeugen vom Alltag im Lager während ihres Aufenthalts. Dann endlich beginnt die Führung. Hinterher tauen unsere Mägen nur langsam wieder auf.


Zwei Stunden lang erzählt man uns von ganz konkreten Menschen: dem einen Lagerleiter, der Gelder unterschlug, und dem anderen, der am 11. April 1945 schneller weg war, als alle anderen. Von einem Brüderpaar, das erst fünf Jahre unter den Nazis in Buchenwald saß und anschließend noch fünf weitere in russischer Gefangenschaft und von einem Zweijährigen, der überlebte.
Wir laufen vorbei an den Folterzellen und auch durch das Krematorium, erfahren, dass dieses für die Abfallentsorgung konzipiert war, nicht für Menschen. Und, dass viele Angehörige nur ausgerechnet dieses Gebäude zur Trauer haben, keine Gräber.
Wir stehen auch an der Stelle, an der im Winter nach der Pogromnacht bis zu 3000 Menschen erfroren - wurden. Vorsätzlich. Danach musste dringend das Krematorium her. Viele Baufirmen wollten nicht kooperieren, das Konzentrationslager zahlte zu wenig.
Erzählungen von diesen und vielen weiteren Geschehnissen stürzten uns immer wieder in Betroffenheit, bis wir nach dem Ende der Führung in den Bus steigen. Mit achtzig Kilometern die Stunde auf der Landstraße lassen wir die Massengräber, die Folterstätten und mit ihnen die Präsenz der 38.049 Ermordeten hinter uns, und die, der wenigen, die Buchenwald überlebt haben.
 

Tara Frauendorf